Italien - das steht nicht nur Pizza, Papst
und Pisa, sondern seit einiger Zeit auch für erfolgreiche elektronische
Instrumentalmusik. Produziert wird sie von Roberto Concina, besser bekannt unter
seinem Pseudonym Robert
Miles . Mit seinem Trance-Hit "Children" erstürmte der
26-jährige 1996 sämtliche Dancecharts und die Herzen aller Tänzer
und Tänzerinnen.
Robert Miles wurde in der
Schweiz geboren und lebt jetzt in Udine (im Norden Italiens).
Vier Jahre lang hat er klassische Musik studiert, seit 1988 ist
er DJ. 1996 erhielt Robert Miles die Goldene Schallplatte
für sein Album "Dreamland". Chris Höppner
und Torsten Zimmer haben bei dieser Gelegenheit mit ihm gesprochen.
Radio Waves:
Wie ist Children entstanden?
Robert Miles:
"Children" ist
nicht einfach aus dem Nichts gekommen. Es ist das Ergebnis jahrelanger
Erfahrung. Ich habe seit meinem dreizehnten Lebensjahr in Diskotheken
gearbeitet und habe dabei die Erfahrungen gesammelt, die ich brauchte,
um so einen Titel zustande zu bringen.
Radio Waves:
Kannst du uns etwas zu der Hintergrundgeschichte von Children
erzählen?
Robert Miles:
Vor etwa vier Jahren sind
in Italien Mütter auf die Straße gegangen, die die
Djs dafür verantwortlich machten, daß es nachts bei
der Rückfahrt von den Diskotheken immer wieder zu Unfällen
kam. Die Mütter glaubten, daß das vor allem an der
harten Musik lag, die dort gespielt wurde. 20000 Mütter hatten
sich zu einer "Mütter-Gegen-Rock-Bewegung" zusammengeschlossen.
Daraufhin haben einige DJs beschlossen, am Ende des Tanzabends
ruhigere Musik zu spielen, um die Leute zu beruhigen, bevor sie
die Diskotheken verlassen. Und so entstand "Children".
Radio Waves:
Wie hat sich das Konzept von Children ergeben? Warum ist der Titel
instrumental, warum mit Piano eingespielt?
Robert Miles:
Piano deshalb, weil ich
selbst Klavier studiert habe und mich diesem Instrument besonders
nahe fühle. Und instrumental, weil ich diese Art von Musik
seit sechs Jahren mache und dies die Richtung ist, der ich persönlich
nahestehe.
Radio Waves:
Mit instrumental, meinst Du damit auch Musik wie die von Jean-Michel
Jarre oder Tangerine Dream?
Robert Miles:
In der Disco spiele ich
eher die Richtung Trance/Techno. Zuhause höre ich aber auch
gerne Ambient oder Musik von Future Sound of London, auch Tangerine
Dream. Jean-Michel Jarre nicht unbedingt. Auf jeden Fall aber
hauptsächlich instrumentale Musik.
Radio Waves:
Was ist der Unterschied zwischen der ersten Demo-Version von "Children"
und der Endversion?
Robert Miles:
Die erste Version habe ich zwei Monate nach dem Kauf des Instruments
gemacht. Ein Jahr später konnte ich das Instrument dann schon
viel besser benutzen.
Radio Waves:
Dann hat sich das Stück also stark verändert?
Robert Miles:
Oh ja. Als ich die erste Fassung machte, hatte ich noch nicht
einmal den Sampler.
Radio Waves:
Es gibt ja viele Musiker, die sagen, daß "Children"
ein recht simples Stück ist. Was sagst Du denen?
Robert Miles:
Denen sage ich: Warum habt ihr dann nicht das gleiche gemacht?
Ich stimme absolut damit überein, daß Children einfach
ist, aber vielleicht war es ja gerade deshalb so erfolgreich.
Radio Waves: Wie
bist Du eigentlich vom DJ zum Musiker geworden?
Robert Miles:
Zuerst habe ich versucht, soviel wie möglich von dem Geld
zu sparen, das ich in den Diskotheken verdient habe. Dann habe
ich bei der Bank einen Kredit über einige Millionen Lire
aufgenommen. Einiges haben mir auch meine Eltern geliehen. Das
habe ich natürlich inzwischen zurückgezahlt. Ja, so
habe ich angefangen.
Radio Waves:
Fühlst du dich im Moment eigentlich eher als DJ oder eher
als Musiker?
Robert Miles:
Beides. Ich werde immer auch DJ bleiben, denn so kann ich am besten
mitbekommen, wie meine Musik auf die Menschen wirkt.
Radio Waves:
Hast Du selbst auch Musik aufgelegt und sie in der Disco arrangiert,
wie manche DJs das ja machen?
Robert Miles:
Ja, wenn ich ein Stück schreibe, probiere ich das schon aus
und versuche herauszufinden, wie die Leute darauf reagieren. Und
wenn die Reaktionen nicht so gut sind, verändere ich den
Titel noch, bevor ich ihn auf dem Markt bringe.
Radio Waves:
In welchen Ländern kam deine Musik am besten an?
Robert Miles:
Überall.
Radio Waves:
In welchen Ländern und in welchen Clubs hast du am liebsten
Platten aufgelegt?
Robert Miles:
In ganz Europa findet man schöne Plätze. Am besten hat
es mir in Skandinavien und in Holland gefallen, auch in Deutschland,
vor allem der Tunnel und der Dorian Grey in Frankfurt. Griechenland
war auch schön.
Radio Waves: Und
welche Clubs haben dir gut gefallen?
Robert Miles:
Meistens spiele ich in Clubs, die keine Namen haben. Wenn es um
Raves geht, sind das Hallen, die speziell für diesen Zweck
gemietet werden. Oft werden diese Feten ja von bestimmten Gruppen
organisiert, und die geben dann der Veranstaltung einen Namen.
In England zum Beispiel Renaissance. In Deutschland gefiel mir
der Tunnel of Love, Rave City in München. Oder Tribal Feten
wie die Exogroup in Italien.
Radio Waves:
Helfen Dir Deine Erfahrungen als DJ auch dabei, neue Musik zu
machen?
Robert Miles:
Natürlich, das hilft mir sehr. Ich lege ja in der ganzen
Welt Musik auf, und danach schließe ich mich ja nicht im
Hotel ein, sondern ich gehe los, besuche Plattengeschäfte
und suche nach der Musik, die es dort gibt.
Radio Waves:
Spielst Du als DJ manchmal auch die harten Techno-Sachen, also
Underground mit 180 oder 200 bpm?
Robert Miles:
Nein, maximal spiele ich 140 bpm.
Radio Waves:
Glaubst Du, daß in den Clubs die Beats per Minute zur Zeit
steigen oder fallen?
Robert Miles:
Im Augenblick steigen sie. Die Musik mit 180 bpm wird aber wohl
langsam verschwinden, aber 120-130 bpm werden gerne gehört.
In diesem Bereich liegen ja auch viele aktuelle Welthits, die
in den Diskotheken gespielt werden.
Radio Waves:
Dein neues Album heißt "Dreamland" - Traumland.
Was sagst du als DJ denn zu den synthetischen Reisetickets ins
Traumland - Stichwort Ecstasy?
Robert Miles: Das Problem gibt es ja überall. In Deutschland werden die Jugendlichen noch am besten über Ecstasy informiert. In den Diskotheken werden sogar Flugblätter verteilt, auf denen steht, was Ecstasy bewirkt und was passiert, wenn man zuviel davon nimmt.
In anderen Ländern versucht
man es dagegen nur mit Verboten und Festnahmen. Das bringt aber
nichts, weil die Leute dann immer noch nicht wissen, worum es
dabei eigentlich geht.
Radio Waves:
Wie siehst Du die allgemeine Entwicklung der letzten Jahre im Dancefloor?
Robert Miles:
Über die kommerziellen Diskotheken kann ich nicht soviel
sagen, weil ich da selten verkehre. Die Diskomusik ist aber wohl
zu kommerziell geworden. Ich kann eher über die Clubs sprechen.
Und da müßte auf jeden Fall mal etwas neues gemacht
werden. Nur machen leider alle das gleiche, und deshalb kommt
nur wenig innovatives dabei heraus. Es kommt aber auch darauf
an, von welchem Club man spricht. In den Clubs, in denen ich mich
mit meinen Freunden und Kollegen treffe, spielen wir vor allem
experimentelle Musik. Das ist aber keine Musik, die man im Radio
hört.
Radio Waves:
Und die Musik wird direkt den Clubs gemacht?
Robert Miles:
Nein, die Produktion findet schon im Studio statt. Aber wir DJs
tauschen diese Titel dann untereinander aus und spielen sie in
den Clubs.
Radio Waves:
Viele sagen ja, daß die Clubszene auf dem Rückzug ist.
Immer mehr Clubs schließen. Wie siehst du das?
Robert Miles:
Das ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich In den nordeuropäischen
Ländern sehe ich diese Tendenz nicht, ganz im Gegenteil.
Das ist auch ein Frage der Kultur. Wenn ich in ein Stadion gehe,
sehe ich, wie die Leute sich verprügeln und sich gegenseitig
umbringen. In den Clubs dagegen gehen die Leute ganz anders miteinander
um. Schwarze und Weiße umarmen und verstehen sich, das ist
ein ganz anderes kulturelles Niveau.
Radio Waves: Auf
deiner aktuellen Maxi-CD "One on One" steht ein Satz:
"Sometimes you don`t even have the time to realize what is
happening to your life, that it has already happened The World
moves too fast.. let's recapture the essence of Time." Was
wolltest du damit ausdrücken?
Robert Miles:
Das Zitat betrifft mich vor allem selbst. Ich war so sehr mit
meiner Arbeit beschäftigt, daß ich vom Erfolg meiner
Musik gar nicht soviel mitbekommen habe. Abgesehen davon betrifft
das Zitat aber auch alle Menschen. Ich habe auf meinen Reisen
oft gesehen, daß die Leute zu sehr gestresst sind. Sie nehmen
sich einfach keine Zeit mehr.
Radio Waves:
Was ist ganz allgemein für Dich das Feeling der 90er?
Robert Miles:
Man kann die Zeit vielleicht mit dem Woodstock-Feeling Ende der
Sechziger vergleichen. Jeder versucht, mit sich selbst in Einklang
zu kommen, und es gibt ein starkes Bedürfnis nach Ruhe.
Radio Waves:
Glaubst Du, daß Instrumentalmusik besonders gut geeignet
ist, den Menschen diese Ruhe zurückzugeben?
Robert Miles:
Ja, diese Musik ist dazu besonders geeignet. Und es ist mein Ziel,
Ruhe zu vermitteln.
Radio Waves:
Gibt es diesbezüglich auch einen Bezug zur New Age?
Robert Miles:
Na ja, wenn man bei meiner Musik die Rhythmen weglassen würde,
könnten sie auch als New Age fungieren. Aber New Age geht
doch noch in eine andere Richtung. Ich habe auch selbst schon
New Age Sachen gespielt, aber nur im Studio, das hat sonst niemand
zu hören bekommen.
Radio Waves:
Wie denkst Du über diejenigen, die Deinen Stil nun kopieren?
Deine Musik wird ja auch als Dreamhouse bezeichnet. Stammt der
Begriff von Dir?
Robert Miles:
Ich nenne sie Dream Music, nicht Dreamhouse. Was die Kopisten
angeht, glaube ich, daß denen einfach die Phantasie fehlt.
Die werden sich wohl nicht weiterentwickeln. Ich dagegen habe
mich auf "One on One" schon wieder in eine andere Richtung
bewegt.
Radio Waves:
Warum hast Du denn auf dieser Single Gesang eingesetzt, so daß
diese Platte fast schon nach Popmusik klingt?
Robert Miles:
Es gab einfach schon zu viele Leute, die in Richtung Dream gearbeitet
haben. Da hätte ich nichts neues mehr machen können.
Deshalb wollte ich, vor allem für die Weihnachtszeit, erst
einmal etwas ganz anderes machen. Danach werde ich aber wieder
in die instrumentale Richtung zurückkehren.
Radio Waves:
Wie kam es denn zur Zusammenarbeit mit Marya Nayler, der Sängerin
auf "One on One"?
Robert Miles:
Sie hatte schon mit einem englischen DJ namens Sascha gearbeitet.
Ich habe sie mit Hilfe der Plattenfirma ausfindig gemacht, sie
mit ins Studio genommen und mir ihre Stimme angehört. Sie
wollte das Projekt mit mir machen, und so ist die Sache entstanden.
Radio Waves:
Möchtest Du unter anderem Namen, vielleicht auch mit anderen
Musikern, Projekte durchführen?
Robert Miles:
Es wird - abgesehen von meinem zweiten Album - auch ein Projekt
geben, das nicht unter dem Namen Robert Miles laufen wird, aber
von mir produziert wird. Das geht dann mehr in Richtung Ambient.
Radio Waves:
Werden daran auch andere Musiker beteiligt sein?
Robert Miles:
Ja es werden auch andere dabei sein, die mit mir zusammenarbeiten.
Radio Waves:
Vielleicht irgendwelche bekannten Namen?
Robert Miles:
Nein, keine bekannten Namen. Ich suche in aller Welt nach Leuten,
die gut, aber noch unbekannt sind.
Radio Waves:
Hast Du noch die Zeit, eigene Klänge zu sampeln und zu programmieren?
Robert Miles:
Ja, ich verbringe mehr als die Hälfte meiner Zeit im Studio
damit, eigene Klänge herzustellen.
Radio Waves:
Gibt es ein Team, das hinter Dir steht, vielleicht Techniker,
die dir helfen?
Robert Miles:
Nein, keinen.
Radio Waves:
Es gibt ja Musikvideos zu deinen Stücken. Warst du an diesen
Produktionen beteiligt?
Robert Miles:
Ich war an dem ersten beteiligt, an Children, und an dem letzten,
"One on One". An "Fable" war ich nicht beteiligt,
und das Resultat gefällt mir auch überhaupt nicht.
Radio Waves:
Was kannst Du den Newcomern im Bereich Dancefloor raten?
Robert Miles:
Erstens: Glaubt an das, was ihr macht, so wie ich an das glaube,
was ich mache. Und zweitens: Versucht, etwas neues zu bringen
und nicht immer alles zu kopieren. Wenn man nur etwas kommerzielles
machen will, dann kann man natürlich auch kopieren. Etwas
neues zu machen, heißt natürlich auch, daß man
sehr hart daran arbeiten muß.
Radio Waves:
Aber es gibt ja auch kommerziell erfolgreiche Titel, die dennoch
etwas neues sind, wie ja auch deiner. Kommerzielle Titel sind
also nicht immer nur Titel, die das Vorhandene kopieren, oder?
Robert Miles:
Man muß unterscheiden, was man mit kommerziell meint. Heißt
das, daß viele Leute den Titel kaufen oder bedeutet das,
daß die Titel nur des Geldes wegen gemacht werden? Es gibt
immer wieder Titel, die nicht in erster Linie aus kommerziellen
Gründen gemacht wurden, und die trotzdem erfolgreich waren.
Radio Waves:
Besteht nach einem solchen Erfolg nicht die Gefahr, daß
man von der Plattenfirma dazu gedrängt wird, mit kommerzieller
Musik weiter zu machen anstatt der eigenen Vision zu folgen?
Robert Miles:
Bei mir gibt es das nicht. Wenn eine Plattenfirma auf mich Druck
ausüben würde, damit ich eine bestimmte Sache mache,
würde ich mit dieser Firma nicht mehr zusammenarbeiten.
Radio Waves:
So etwas kommt aber durchaus vor.
Robert Miles:
Wenn man einer Plattenfirma ein gutes Produkt abliefert, ist es
eigentlich selten, daß sie versucht, Druck auszuüben.
Sicher, wenn man in eine ganz neue Richtung geht und die Plattenfirma
meint, daß der Unterschied zu groß ist, dann rät
sie davon, ab. Dann wird natürlich schon ein gewisser Druck
ausgeübt.
Radio Waves:
Du baust jetzt ein neues Studio. Warum bist Du dafür nach
London gegangen?
Robert Miles:
Was ihr alles so wißt. Ich bin nach London gefahren, weil
ich denke, daß London die Hauptstadt der Musikszene ist.
Und auch, um mein Englisch zu verbessern. Man braucht Englisch
ja überall. Und in der Schule bin ich nie besonders gut darin
gewesen.
Radio Waves:
Wie willst Du Dein altes Equipment in Deinem neuen Studio erweitern?
Robert Miles:
ich werde sicherlich etwas Geld ausgeben, um neue Sounds zu bekommen,
aber ich werde mir nicht irgendwelche teuren Mischpulte oder Recording-Systeme
anschaffen, denn ich glaube nicht, daß man die braucht,
um neue Klänge zu erzeugen.
Radio Waves:
Läßt dir der Erfolg überhaupt noch Zeit für
ein Privatleben?
Robert Miles:
Mein Privatleben besteht zur Zeit darin, zum Kleiderwechseln nach
Hause zu fahren und gleich wieder wegzufahren.
Radio Waves:
Und andere Interessen?
Robert Miles:
Ich fahre gerne Ski, aber das ist ja in London leider schlecht
möglich.
Radio Waves:
Robert, vielen Dank für das Gespräch!