Interview

Alquimia im Gespräch

Das Interview mit der mexikanischen Musikerin Alquimia fand am 12. August 2004 in Trier statt. Am Tag zuvor hatte sie mit dem Projekt Mergener et Amici das Eröffnungskonzert des Römerfestivals "Brot und Spiele" gegeben, das inzwischen auch bei BSC Music als DVD erschienen ist. Alquimia sprach mit Radio Waves über ihre musikalischen Wurzeln, ihre Inspirationsquellen und über ihre Arbeit als Musikerin.

Radio Waves: Wie verlief deine musikalische Karriere?

Alquimia: Ich bin in Mexiko geboren. Meine Eltern sind Mexikaner, deren Vorfahren aus Frankreich stammen. Meine erste Sprache war Spanisch, das spricht man ja in Lateinamerika, dann lernte ich Französisch. Als ich nach England kam, lernte ich Englisch, und jetzt kann ich ein kleines bißchen Deutsch.

Ich bin mit Klavierstunden und klassischer Musik aufgewachsen. Meine Mutter war Opernsängerin; ich war also immer klassisch beeinflußt. Aber auch von dem, was man in Mexiko im Radio hört: Balladen, manchmal traditionelle Musik, auch Tanzmusik, Salsa oder ähnliches. Schon von klein auf habe ich festgestellt, daß mir das Spielen nach Gehör und das Komponieren mehr Spaß machte als das Spielen nach Noten. Wenn die Lehrer das von mir verlangten, habe ich es natürlich gemacht, aber es war langweilig. Ich wollte etwas Kreativeres machen. Mit fünf bekam ich Klavierstunden, und mit acht begann ich zu komponieren. Es begann mit einem Instrumentalstück auf dem Klavier. Meine Mutter hat das damals aufgenommen. Das Band hat sie heute noch!

Als ich dann älter wurde, wollte ich weiter komponieren und Klavierspielen, aber auch singen. Und ich begann, Musik zu hören. Meine älteren Brüder hatten z. B. Musik von Progressive-Rock-Bands wie Pink Floyd oder Tangerine Dream, und das fand ich sehr interessant. Aber ich hätte mir nie träumen lassen, solche Musik selbst zu machen, denn man brauchte ja Synthesizer und dieses ganze Equipment. Als ich älter war, kam ich zu einem Secondhand-Laden in Mexiko, und ich konnte es kaum glauben: da gab es einen Synthesizer! Den hab’ ich gekauft. Das war großartig, ich konnte damit die seltsamsten Klänge erzeugen. Die Musik, die ich damals komponierte, war eine Mischung aus allem möglichen. Ob’s nun Klassik war oder Balladen, weiß ich nicht, auf jeden Fall waren es meine eigenen verrückten Kompositionen.

Ich wollte aber auch die Theorie der Musik verstehen und für Orchester schreiben. Deshalb entschied ich mich, Musik zu studieren und ging nach Kanada, denn die Schule dort hatte ein sehr gutes elektronisches Studio. Ich studierte Komposition, Harmonielehre usw. Was man in diesen Schulen lernt, orientiert sich stark an der zeitgenössischen Klassik. Man lernt nichts über Rock oder so. Es muß entweder Klassik sein oder zeitgenössische Klassik.

Ich fand das sehr interessant. Ich lernte viel über Komponisten wie z. B. Stockhausen. Ich ging dann zurück nach Mexiko und wollte Musik in diesem Stil aufführen, aber es gab nicht viele Orte, an denen man so etwas spielen konnte. Es ist schwierig, ein großes Publikum mit dieser Musik zu erreichen. Obwohl es sehr gute, interessante Musik ist.

Aber ich wollte mich auch nicht auf nur eine Art von Musik und auf nur eine Art von Publikum einschränken. Ich wollte eher eine offene Kombination von Stilrichtungen. Viele denken ja, daß Balladen etwas ganz anderes sind als das, was Tangerine Dream machen oder Pink Floyd oder Stockhausen. Und daß jeder Stil seinen bestimmten Platz in der Musik hat. Hier der eine, dort der andere. Ich wollte aber eine freie Kombination von Stilen. Und dabei alles verwenden. Die Stimme, akustische Instrumente, aber auch Synthesizer, Technik... Eben alles.
In dieser Zeit fing ich an, mich mit der traditionellen Musik der mexikanischen Ureinwohner und mit der mexikanische Mythologie zu beschäftigen, die ja sehr interessant und kraftvoll ist. Ich besuchte die Ruinen der Mayas und Azteken. Ich schrieb dann Musik für ein Album über eine Göttin aus der aztekischen Mythologie, und zwar Coatlicue, die Erdgöttin. Ich setzte dabei alles ein, was ich hatte: Synthesizer, meine Stimme, alles. Und wenn man mich fragt, was das für ein Stil ist… Das kann ich gar nicht sagen. Es sind einfach meine eigenen Ideen, meine eigenen Kreationen und Gefühle zu dem, was mir diese Mythologie vermittelt hat.

Danach las ich Bücher von Carlos Castaneda, und in diesen Büchern erzählt er von einem mexikanischen Schamanen.
Und auch das gab mir Inspiration. Mein nächstes Album erschien 1993 und hieß "Wings of Perception“. So heißt auch eine Kapitelüberschrift von Carlos Castaneda. Diese beiden Alben habe ich auf meinem eigenen Label veröffentlicht, weil ich am Anfang gar nicht wußte, wer sich dafür interessieren könnte.

Dann ging ich nach England, weil ich annahm, daß ich dort vielleicht eher Label finden könnte, die an meiner Musik interessiert sind. Schließlich fand ich das AMP Label, das meine ersten beiden Alben vertrieben hat. Dann machte ich zusammen mit dem mexikanischen Musiker Jose Luis Fernandez Ledesma ein weiteres Album, "Dead Tongues", das eine eher progressive Mischung war, mit Elementen aus Techno, Elektronik und mit etwas traditioneller mexikanischer Musik.

In der Zeit, in der ich zwischen Mexiko und London hin- und herpendelte, habe ich auch als Übersetzerin in London gearbeitet und vom Spanischen ins Englische oder Französische übersetzt. Das hat mir ein wenig dabei geholfen, die Miete zu bezahlen, denn es ist ja doch sehr teuer, in London zu wohnen.

Nachdem das Album "Dead Tongues“ im Londoner Magazin "The Wire“ besprochen wurde, rief mich derjenige an, der die Kritik geschrieben hatte, und empfahl mir eine Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Roedelius, der ja mit Cluster, Brian Eno und im Duo mit Dieter Moebius zusammengearbeitet hat.
Ich traf Achim in London. Er gab mir seine Musik und ging wieder. Ich arbeitete dann daran in meinem Studio. Bei Prudence veröffentlichten wir das Album „Move and Resonate“ von Roedelius und Alquimia. E
s ist eine Mischung aus Ambient, Elektronik und meinen mexikanischen Wurzeln. Als ich Achim eine CD-R schickte, hörte er sie und dachte, Oh, da wird ja gesungen in meiner Musik!
Das war eine Überraschung, er macht ja sonst fast nur Ambient. Man nennt ihn ja sogar den Großvater der Ambient-Musik.

Christoph, der Chef von BSC, mochte meine Arbeit sehr gerne und fragte mich, ob ich vielleicht noch ein anderes Album hätte, das man veröffentlichen könnte, ein Solo-Album. Und ich sagte: Ja, ich habe noch eins. Es heißt "A Seperate Reality“. Auch das ist ein Titel, der von Carlos Castaneda inspiriert wurde. Dieses Album wurde 1998 auf dem Alfa-Centauri Festival in Holland live aufgeführt. Das war ein sehr schönes Festival und ich wurde dort sehr freundlich empfangen.

Später dann hat mir ein anderer Komponist vom BSC-Label eine E-Mail geschickt und mich gefragt, ob ich nicht auch für ihn Gesang beisteuern will. Und ich sagte, OK, schick mir deine Musik. Das war Anton Zinkl. Er macht mehr… wie nennt er das? Progressive Dance, glaube ich. Und wir machten ein gemeinsames Album namens „Underwater“.

Peter Mergener hat mir letztes Jahr erzählt, daß er an diesem Römerfestival in Trier mitwirkt und mich gefragt, ob ich mit ihm zusammenarbeiten würde. Wir haben dann gemeinsam „Te Deum“ und einige andere Titel eingespielt. Aber letztes Jahr sind wir noch nicht live aufgetreten. D
as hat sich Stück für Stück entwickelt. In den beiden Jahren zuvor hatte Peter die Klanginstallationen gemacht, mit Musik, Farben, Rauch und vielen kleinen Lichtern auf dem Gelände der Kaiserthermen in Trier. Das war sehr schön. Und die Veranstalter meinten, es wäre doch eine gute Idee, im kommenden Jahr ein Live-Konzert zu organisieren. Und wir sind wirklich sehr glücklich, daß wir in diesem Jahr dazu die Gelegenheit hatten.
Für dieses Konzert haben wir im vergangenen Jahr neue Stücke komponiert, wie z. B. das letzte Stück, das wir gespielt haben, „Rainbow in the Air“. Ich weiß es noch nicht genau, aber eventuell werden diese Titel auf einem neuen Album erscheinen. Vielleicht auf einer „Nox Mystica 2“ oder auf einem Mergener/Alquimia Album. Es gibt auf jeden Fall Material.

Ein weiterer deutscher BSC-Musiker hat mich ebenfalls angemailt, und wir arbeiten jetzt auch zusammen. Sein Name ist Rüdiger Gleisberg. Er hat schon mehrere Alben bei BSC veröffentlicht. Wir hoffen, daß wir unser Album bis zum Herbstende fertig haben. Wir haben schon den Titel – „Garden of Dreams“ - und das Cover, wir müssen es nur noch beenden. Darüber hinaus arbeite ich auch mit einer deutschen Band zusammen, aber nicht auf dem ganzen Album sondern nur bei zwei oder drei Titeln. Die Band heißt „Stellar Maris“. Dieses Album wird wahrscheinlich 2005 bei BSC erscheinen.

Und erst gestern habe ich Material von einer anderen Band erhalten, Art of Infinity, die auch schon ein Album bei BSC veröffentlicht hat. Ich hoffe, in den nächsten Wochen auch mit ihnen zusammen arbeiten zu können. D
as ist alles eine Frage der Zeit. Die Zusammenarbeit, das Komponieren, die Aufnahmen, das alles kostet natürlich Zeit. Aber ich sehr glücklich, denn es geht ja immer darum, mehr und mehr Musik zu erschaffen.

Radio Waves: Wenn man deine Diskographie betrachtet, fällt auf, daß Du sehr häufig mit anderen Musikern zusammenarbeitest. Was magst du denn lieber? Gemeinschaftsproduktionen oder Soloprojekte?

Alquimia: Ich mag Gemeinschaftsproduktionen, aber ich mag auch die Arbeit an meinen eigenen Projekten. Es ist unterschiedlich. Bei den eigenen Projekten ist man wirklich der Meister über alles. Man macht, was man will. Wenn andere Komponisten mit dabei sind, muß man immer im Hinterkopf haben, was sie wollen, was ihre Grundidee ist, und sich in diesem Rahmen bewegen. Ich will die Idee ja nicht zerstören. Aber ich arbeite gerne um die Idee herum und erschaffe eine komplette Einheit. Ich versuche die Musik zu bereichern. So wie man einem Bild einen Rahmen geben kann.
Ich werde von so vielen unterschiedlichen Musikrichtungen beeinflußt, von Klassik, Elektronik, Balladen, traditioneller Musik. Es ist schön, herauszufinden, was wo paßt. Das ist wie beim Kochen. Manchmal fügt man etwas mehr Salz hinzu, manchmal etwas mehr Pfeffer, vielleicht Tomaten - aber auch nicht zu viele!

Radio Waves: Die Gemeinschaftsproduktionen entstehen ja oft nicht bei direkten, persönlichen Begegnungen. Ergeben sich durch diese Art der Arbeit besondere Probleme?

Alquimia: Die Abmischung ist natürlich sehr schwierig. Man schickt mir die Musik, ich arbeite daran in meinem Studio in London, beende meinen Mix und schicke das Ergebnis zurück. Es ist also nicht so, daß zwei Leute zusammen im Studio arbeiten und sich gemeinsam die Aufnahmepegel ansehen. Manchmal heißt es dann, OK, wir wollen Deine Stimme oder einige Instrumente etwas lauter oder nicht so laut. Das ist ganz normal.

Von allen Teilschritten – komponieren, aufnehmen, Ideen finden – ist die Endabmischung einer der schwierigsten. Man hat alles zusammen, alles ist gut, aber jetzt muß man es abmischen und allem die richtige Lautstärke geben, damit man auch alles hören kann. Das ist sehr schwierig. Und jede Stereoanlage ist anders. Man mischt das ganze mit einem Lautsprecherpaar ab, und dann hört man’s im Auto und es klingt wieder völlig anders. Der Baß klingt zu hell, und dann ändert man es wieder. Man muß also wirklich unterschiedliche Systeme ausprobieren, bevor man sagen kann, ja, der Baß ist in Ordnung und die Stimme ist auch OK.
Aber ich mag diesen ganzen Prozeß vom Anfang bis zum Ende. Aufnehmen, komponieren, abmischen, schneiden. Heutzutage ist ja sehr viel Technologie mit im Spiel. Es ist ja auch gut, daß man als einzelner Musiker nicht mehr Hunderte von Euros für teure Studios ausgeben muß. Man hat seinen eigenen Computer und die Software, und es ist einfacher, die Kontrolle über die Musik zu behalten.

Radio Waves: Du hast vorhin gesagt, daß dich die Schriften von Carlos Castaneda inspiriert haben. Du zitierst auf Deiner Webseite aber auch noch Chuangtse und Laotse. Haben die dich auch beeinflußt?

Alquimia: Nicht unbedingt diese, sondern alle, die sich mit den Fragen nach der Welt, der Umwelt und der Realität auseinandersetzen. Ich denke, es ist sehr wichtig, daß wir versuchen, die Welt und uns selbst von einem anderen als dem üblichen Standpunkt aus zu betrachten, denn das öffnet unser Bewußtsein. Wir sind manchmal viel zu beschäftigt und denken nur an unser Mobiltelefon oder den Computer oder vielleicht diese Tasse Kaffee auf dem Tisch. Es ist einfach schön, wenn man das Bewußtsein für die wunderbare Welt öffnet, die uns umgibt. Denn sie ist ja wunderbar! Wir machen nur nicht immer das Beste daraus.

Radio Waves: Dieses Konzept der unterschiedlichen Betrachtungswinkel findet sich ja auch in deiner Musik wieder..

Alquimia: Das stimmt. Wie gesagt, ich mag es nicht, nur einer einzigen Stilrichtung anzugehören. Ich sehe die Dinge gerne aus unterschiedlichen Perspektiven und nehme mir die Freiheit, verschiedene Dinge miteinander zu kombinieren. Wichtig dabei ist, eine Botschaft zu haben und die Gefühle der Menschen zu berühren. Das ist für mich sehr wichtig in der Musik: Gefühle zu vermitteln, und zwar – so hoffe ich jedenfalls – Gefühle von Wohlbefinden. Andere Musik vermittelt vielleicht andere Gefühle, aber ich vermittle Gefühle von Wohlbefinden. Ich möchte auch die Selbstbetrachtung fördern und bewirken daß man über sich selbst nachdenkt. Es gibt ja viele unterschiedliche Arten von Musik. Der Titel „Rainbow in the Air“ zum Beispiel ist sehr beschwingt. Andere Musik dagegen vermittelt mehr mystische oder meditative Empfindungen. Aber ich denke, das wichtigste ist, Gefühle zu vermitteln, die die Leute mögen, und dann spielen sie die Musik auch immer wieder. Das ist mein Ziel.

 

DISCOGRAPHIE (Auswahl)

CDs:

"Coatlicue"(1992)

"Wings of perception" (1995)

"Dead Tongues" Alquimia & J.L.F.Ledesma (1996)

“Drive” Global Trotters ( Roedelius, Alquimia, Bickley, Konishi, Hirasawa) (1999)

"Move & Resonate" Roedelius & Alquimia (2000)

"A Seperate Reality" (2001)

"Underwater" Zinkl & Alquimia (2001)

"Angaelic Voices" (2003)

"Nox Mystica" Mergener et Amici (2004)

"Garden of Dreams" Alquimia & Gleisberg (2005)

"To the Promised Land" Stellar Maris with Alquimia (2005)


DVD
:

"Nox Mystica" Mergener et Amici and Alquimia (2005)

 

© 2004 T. Zimmer